2. Runzlige Verwirrung [ImBL68]
Renate. Mein Blick fiel auf den rechten Hühnerschenkel und seine kleinen Erhebungen. Diese helle, runzlig faltige Haut mit einem leichten Braunton erinnerte mich an ihre Hände. Es waren große Hände. Hände die für einiges gemacht sind, für einiges mehr als man denken mag. Mein Blick wanderte weiter hinab zu dem Stieß, meinen Gedanken kreisten wie wild um verschiedene Möglichkeiten, bis sie sie endlich hatten - die Lösung.
Der narbige Schmock musterte eindringlich das Huhn, ihm war wohl mein Blick wie auch seine Schärfe aufgefallen. Er bewegte seine Lippen, aber ich vernahm keinen Ton. Entweder war ich so sehr in meinen Gedanken, so dass ich ihn nicht hören konnte oder aber er sprach tatsächlich nicht. Nichts ungewöhnliches für den Professor, wenn auch merkwürdig. "Renate ist gut zu ihnen, oder." Schmock schreckte auf, dass hatte er nicht erwartet. Seine kleinen Augen aus den dunklen Höhlen suchten nervös nach einem Blickpunkt, bis sie das rettende Huhn erreichten. Er öffnete seinen Mund und lallend entwich ihnen: "Ja, nachdem sie die Fesseln der Gummiproduktion abgeworfen hat ging es uns besser. Das muss man mir erlauben, das so zu sagen. Denn - mit Verlaub - sie war eine wunderbare Frau. Vielleicht ist sie es noch heute." Wieso sprach er so schwerfällig und warum begann seine Narbe einen ständigen Wechsel zwischen Halbmond und Sonne einzunehmen? Ich sah wieder auf die kleinen Augen und nickte bedächtig. Irgend etwas stimmte hier nicht, ein Gefühl der Warnung beschlich mich. Er hatte etwas zu verbergen, der kleine Kerl mit der Narbe und den Augen. Ich musste dem auf den Grund gehen, nur wie war doch sein Name gleich, ich konnte ihn nicht mehr fassen. Da kam mir wieder die Lösung in den Sinn. "Warum gerade Renate?" Er lachte leise, zumindest sollte es wohl eines sein, für mich klang es wie das Gackern eines Huhns. "Das liegt auf der Hand, denke doch einmal gut nach. Fassen sie ihre Gedanken konzentriert wie ein Bündel Schilf und schlagen sie dann zu."
Das ergab keinen Sinn. Welches Schilf und wer zum Teufel war diese Renate und was trieb ich hier? Die Antworten verblassten und an ihre Stelle kamen neue Frage, Gedanken und Bilder. Ein leise Rauschen begleitete sie, wuchs langsam an und vermischte sich mit ihnen zu einem kleinen Rinnsal geistiger Fülle. Wuchs immer mehr an, bis es dann über mich hereinbrachen. Würstchenbuden, Reifen, Gummi, Hühner und Leder. Mehr und mehr davon ohne Unterlass, ich fragte mich, ob ich denn die Kaffeemaschine abgestellt hätte. Oft vergaß ich es einfach. Ich wusste nicht warum und daher sah ich auf die formlose Narbe vor mir, ein Haufen Fleisch mit diesen kleinen grünen Punkten. Ich versuchte die Augen zu verscheuchen, aber ich hatte keinen Erfolg. Kraftlos versuchte ich meinen Hand zu heben, aber dort war sie nicht mehr. Ein Huhn war an seiner Stelle, nackt und formlos flatterte die tote Leiche mit ihren Stummeln. Mir gefiel der Anblick. Da grunzte etwas im Hintergrund, ich suchte meine Augen und das Geräusch. Die Narbe sprach plötzlich mit mir, ungewiss warum aber zu mir das war sicher. Mein Blick trübe und nicht mehr Herr meiner Sinnne vernahm ich nur noch einen letzten Satz.
"Du unterschätzt mich und die Antwort ist Folgendes: Renate ist deine Mutter. Ich darf mich empfehlen."
Der Haufen richtete sich auf und veschwand plötzlich, ich wollte ihm folgen, mich aufrichten, doch es war sinnlos. Leer brach ich zusammen.