Diesmal die Bahn
Manch einer der interessierten Leser fragte mich wie es dazu kam, dass der letzte Beitrag den Zusatz 'und die Bahn' trug. Nicht einmal kam das Wort Bahn im Artikel vor, noch gab es einen Bezug. Nun das ist richtig, denn zuerst war der Titel, dann der Text. Womöglich habe ich es einfach vergessen und das ist natürlich nicht gut, daher hole ich nun das nach was ich versäumt habe.
Innerhalb der letzten fünf Wochen benutze ich sage und schreibe zweimal die Bahn. Ein Erlebnis, welches mich immer wieder mit Freude erfüllt. Aber beginnen wir mit der ersten Fahrt. Ich hatte mich vor acht Wochen entschieden an dem in drei Wochen folgenden Wochenende nach Berlin zu fahren, also buche ich natürlich vorausschauend und aufmerksam wie ich bin vier Tage vorher. Naivität? Ich sage ja und sie wurde schwer bestraft. Keine Reservierung mehr zu haben, weder bei einem früheren noch späteren Zug. Was nun? Reservierungen sind etwas für Mädchen dachte ich mir, einen Platz zu erkämpfen ist ja wohl ein Kinderspiel. Also einfach die Karte gekauft und das Spiel mit dem Risiko eingegangen. In Mannheim auf dem Bahnhof wurde mir erst bewusst, dass das nicht riskant sondern einfach nur dumm war. Menschen. Menschen in Massen bevölkerten den Bahnsteig und ich mittendrin. Es gab also nun zwei Alternativen, entweder den Versuch im Raucherabteil zu wagen und einen langsam, qualvollen Tod im Rauch der Unterschicht zu sterben oder aber zu stehen. Die Entscheidung war einfach, ich stehe ja gern - kurz. Als erster im Abteil dachte ich mir, Plätze so viele freie Plätze. Aber das fahle grüne Licht über den Sitzen sprach eine eindeutige Sprache, reserviert, reserviert, reserviert. Reserviert? Wer hat denn diesen Platz reserviert und warum? Kurz kam mir der Gedanke die sportlichen jungen Menschen zu fragen, wozu sie denn reserviert haben. Irgendeiner würde schon keine Antwort wissen und dann rede ich ihm schon seinen Platz aus. Aber nein, ich bin nett und freundlich zurückhaltend und stehend. Also war der Gang mein Ziel, lässig nahm ich mir vor zwei Stunden zu stehen. Ich war sehr optimistisch, irgendwann schmerzen einem ja die Beine und die dicke Frau neben mir lugte immer schon ganz aufgeregt nach Plätzen. Sollte ich dieser Dame der Adiposität tatsächlich den Vorrang lassen? Die Antwort war schnell gefunden, nein natürlich nicht. Frankfurt - zwei steigen aus, sie einen Platz ich einen, das Problem war gelöst. Der Rest der Fahrt verlief ereignislos, auch wenn die Dame mit den wulstigen Lippen und den kleinen schwarzen Haaren darauf versuchte mir ein Gespräch aufzudrängen. Sie ging dabei sehr kreativ vor: 'Du fährst also auch mit der Bahn?' Nein ich sitze mit der Bahn du hübsche Frau. Was für plumper Versuch der Konversation, gut wäre sie annehmbar attraktiv gewesen verzeihbar, aber so einfach nur komisch. Sie schien wohl Freunde oder gar den Mann ihres Lebens zu suchen, eines war mir klar. Ich bin es nicht. Also sagte ich einfach nur: 'Ja, sehr gern sogar.' Nahm dann demonstrativ den Laptop zur Hand und setzte Kopfhörer auf, das sollte genügen. Tat es auch.
Bei der Rückfahrt war ich bei weitem klüger und vorausschauender, ich hatte eine Reservierung. Im Zug sah ich dann neben wem ich sitzen durfte, ein kleiner untersetzter Muskelmann mit Basecap - schwarz. Dazu eine Lederjacke - schwarz. Kleine Stoppeln im Gesicht - schwarz. Die Zähne - schwarz, glaube ich zumindest. Ein freundliches: 'Guten Tag.' Wurde mit einem mürrischen Grunzen quittiert, der Blick starr auf den Sitz vor sich, na das konnte ja heiter werden. Nach drei Stunden ohne Wortwechsel, ich hatte einen Film eingelegt, wanderten seine Augen immer wieder interessiert auf meinen Laptop. Er starrte förmlich, vielleicht sollte ich ihm etwas Ton anbieten? Würde ihm wohl mehr bringen als nur bewegte bunte Bilder, auf der anderen Seite wollte ich ihn auch nicht überfordern. Man muss so etwas langsam angehen. Im schien das kleine Kino zu gefallen, denn er holte ein zwei Butterbrote, schön dick mit Salami belegt und eine Dose feinsten Bieres hervor und begann sich darüber herzumachen. Ich mag diesen Geruch des Proletariats. Er ist markant, aufdringlich und herb. Da macht man sich nichts vor. Die Wurst riecht wie Wurst, also ich auch. Das sind noch Werte, ehrlich Werte. Keine Augenwischerei, sondern klare Fakten. Wurst und Bier.
Am Ende des Films nickte er zufrieden und ich nahm den Ton aus meinen Ohren, seine Stunde hatte geschlagen. Er rülpste kurz und setzte an: 'Sach ma, ich versteh das nich. Mit die ganze DVD-Zeuchs, kennste dich damit aus?' Ahja, der Herr wollte also Informationen aus der ersten Hand von einem Profi, der ich ja nicht war. Also meine Antwort:'Nein, gar nicht. Ein Freund hats mir gegeben, fragen sie mich nicht.' Er nickte und erzählte von den Fachmagazinen die er zu dem Thema gewälzt hatte. Videoworld, Computer BILD, um nur einige zu nennen. Soll er, ich wusste nicht wie, er auch nicht. Den Apfel an meinem Rechner fand er komisch:'Will man ja nich essen, den Computer.' Was für ein humoresker Mann, ich lächelte müde. Daraufhin kam die Frage, die man nur jetzt erwarten kann: 'Sach ma, machste Boxen? Also so Thai oda Kickboxen?' Selbstverständlich, klar, natürlich! Ich würde gern den ganzen Tag, mit Männern kloppen spielen und mich prügeln. 'Nein, gar nicht.' Er: 'Ah, na ja in Frankfurt kannste nich hingehen nur Kroppzeuch da.' Ein kräftiger Schluck aus der Dose, dann der Geheimtip. 'Abba in Mannheim, oda Heidelberch, da kannst das machen. Da sind Studierte, verstehste, Studierte. Die waren anna Uni.' Ach nee, wirklich? Ja wo denn sonst Herr Mützenträger? Sicher nicht in der Baumschule oder dem Boxclub. 'Der eine ist richtig klug, kennste Goethe?' Hmm, was sage ich nun? Ja oder nein? Ich sagte: 'Hm.' Jetzt versprach es interessant zu werden, immerhin konnte nun ein Vortrag zu der deutschen Literatur kommen, ein Referat in epischen Ausmaß, womöglich nationalistisch eingefärbt, aber unterhaltsam. Vielleicht ein, zwei kleine Auszüge aus seinem Werken, Anekdoten aus seinem Leben, die Frauen könnten auch drin sein oder er würde sogar das ein oder andere verfängliche Detail, der erfüllten Biographie offenbaren. Er räusperte sich und hob an: 'Ich kenn ja auch bloss den Namen, wa?' Ich schwieg.
Glücklicherweise musste er in Frankfurt raus, ich nicht. Das ist nun vier Wochen her und dennoch frage ich mich, wo in Heidelberg studierte Gothekenner sich gegenseitig die Münder blutig schlagen und nebenbei Zitate folgen lassen.
Innerhalb der letzten fünf Wochen benutze ich sage und schreibe zweimal die Bahn. Ein Erlebnis, welches mich immer wieder mit Freude erfüllt. Aber beginnen wir mit der ersten Fahrt. Ich hatte mich vor acht Wochen entschieden an dem in drei Wochen folgenden Wochenende nach Berlin zu fahren, also buche ich natürlich vorausschauend und aufmerksam wie ich bin vier Tage vorher. Naivität? Ich sage ja und sie wurde schwer bestraft. Keine Reservierung mehr zu haben, weder bei einem früheren noch späteren Zug. Was nun? Reservierungen sind etwas für Mädchen dachte ich mir, einen Platz zu erkämpfen ist ja wohl ein Kinderspiel. Also einfach die Karte gekauft und das Spiel mit dem Risiko eingegangen. In Mannheim auf dem Bahnhof wurde mir erst bewusst, dass das nicht riskant sondern einfach nur dumm war. Menschen. Menschen in Massen bevölkerten den Bahnsteig und ich mittendrin. Es gab also nun zwei Alternativen, entweder den Versuch im Raucherabteil zu wagen und einen langsam, qualvollen Tod im Rauch der Unterschicht zu sterben oder aber zu stehen. Die Entscheidung war einfach, ich stehe ja gern - kurz. Als erster im Abteil dachte ich mir, Plätze so viele freie Plätze. Aber das fahle grüne Licht über den Sitzen sprach eine eindeutige Sprache, reserviert, reserviert, reserviert. Reserviert? Wer hat denn diesen Platz reserviert und warum? Kurz kam mir der Gedanke die sportlichen jungen Menschen zu fragen, wozu sie denn reserviert haben. Irgendeiner würde schon keine Antwort wissen und dann rede ich ihm schon seinen Platz aus. Aber nein, ich bin nett und freundlich zurückhaltend und stehend. Also war der Gang mein Ziel, lässig nahm ich mir vor zwei Stunden zu stehen. Ich war sehr optimistisch, irgendwann schmerzen einem ja die Beine und die dicke Frau neben mir lugte immer schon ganz aufgeregt nach Plätzen. Sollte ich dieser Dame der Adiposität tatsächlich den Vorrang lassen? Die Antwort war schnell gefunden, nein natürlich nicht. Frankfurt - zwei steigen aus, sie einen Platz ich einen, das Problem war gelöst. Der Rest der Fahrt verlief ereignislos, auch wenn die Dame mit den wulstigen Lippen und den kleinen schwarzen Haaren darauf versuchte mir ein Gespräch aufzudrängen. Sie ging dabei sehr kreativ vor: 'Du fährst also auch mit der Bahn?' Nein ich sitze mit der Bahn du hübsche Frau. Was für plumper Versuch der Konversation, gut wäre sie annehmbar attraktiv gewesen verzeihbar, aber so einfach nur komisch. Sie schien wohl Freunde oder gar den Mann ihres Lebens zu suchen, eines war mir klar. Ich bin es nicht. Also sagte ich einfach nur: 'Ja, sehr gern sogar.' Nahm dann demonstrativ den Laptop zur Hand und setzte Kopfhörer auf, das sollte genügen. Tat es auch.
Bei der Rückfahrt war ich bei weitem klüger und vorausschauender, ich hatte eine Reservierung. Im Zug sah ich dann neben wem ich sitzen durfte, ein kleiner untersetzter Muskelmann mit Basecap - schwarz. Dazu eine Lederjacke - schwarz. Kleine Stoppeln im Gesicht - schwarz. Die Zähne - schwarz, glaube ich zumindest. Ein freundliches: 'Guten Tag.' Wurde mit einem mürrischen Grunzen quittiert, der Blick starr auf den Sitz vor sich, na das konnte ja heiter werden. Nach drei Stunden ohne Wortwechsel, ich hatte einen Film eingelegt, wanderten seine Augen immer wieder interessiert auf meinen Laptop. Er starrte förmlich, vielleicht sollte ich ihm etwas Ton anbieten? Würde ihm wohl mehr bringen als nur bewegte bunte Bilder, auf der anderen Seite wollte ich ihn auch nicht überfordern. Man muss so etwas langsam angehen. Im schien das kleine Kino zu gefallen, denn er holte ein zwei Butterbrote, schön dick mit Salami belegt und eine Dose feinsten Bieres hervor und begann sich darüber herzumachen. Ich mag diesen Geruch des Proletariats. Er ist markant, aufdringlich und herb. Da macht man sich nichts vor. Die Wurst riecht wie Wurst, also ich auch. Das sind noch Werte, ehrlich Werte. Keine Augenwischerei, sondern klare Fakten. Wurst und Bier.
Am Ende des Films nickte er zufrieden und ich nahm den Ton aus meinen Ohren, seine Stunde hatte geschlagen. Er rülpste kurz und setzte an: 'Sach ma, ich versteh das nich. Mit die ganze DVD-Zeuchs, kennste dich damit aus?' Ahja, der Herr wollte also Informationen aus der ersten Hand von einem Profi, der ich ja nicht war. Also meine Antwort:'Nein, gar nicht. Ein Freund hats mir gegeben, fragen sie mich nicht.' Er nickte und erzählte von den Fachmagazinen die er zu dem Thema gewälzt hatte. Videoworld, Computer BILD, um nur einige zu nennen. Soll er, ich wusste nicht wie, er auch nicht. Den Apfel an meinem Rechner fand er komisch:'Will man ja nich essen, den Computer.' Was für ein humoresker Mann, ich lächelte müde. Daraufhin kam die Frage, die man nur jetzt erwarten kann: 'Sach ma, machste Boxen? Also so Thai oda Kickboxen?' Selbstverständlich, klar, natürlich! Ich würde gern den ganzen Tag, mit Männern kloppen spielen und mich prügeln. 'Nein, gar nicht.' Er: 'Ah, na ja in Frankfurt kannste nich hingehen nur Kroppzeuch da.' Ein kräftiger Schluck aus der Dose, dann der Geheimtip. 'Abba in Mannheim, oda Heidelberch, da kannst das machen. Da sind Studierte, verstehste, Studierte. Die waren anna Uni.' Ach nee, wirklich? Ja wo denn sonst Herr Mützenträger? Sicher nicht in der Baumschule oder dem Boxclub. 'Der eine ist richtig klug, kennste Goethe?' Hmm, was sage ich nun? Ja oder nein? Ich sagte: 'Hm.' Jetzt versprach es interessant zu werden, immerhin konnte nun ein Vortrag zu der deutschen Literatur kommen, ein Referat in epischen Ausmaß, womöglich nationalistisch eingefärbt, aber unterhaltsam. Vielleicht ein, zwei kleine Auszüge aus seinem Werken, Anekdoten aus seinem Leben, die Frauen könnten auch drin sein oder er würde sogar das ein oder andere verfängliche Detail, der erfüllten Biographie offenbaren. Er räusperte sich und hob an: 'Ich kenn ja auch bloss den Namen, wa?' Ich schwieg.
Glücklicherweise musste er in Frankfurt raus, ich nicht. Das ist nun vier Wochen her und dennoch frage ich mich, wo in Heidelberg studierte Gothekenner sich gegenseitig die Münder blutig schlagen und nebenbei Zitate folgen lassen.